…Und schliesslich, der unsägliche “Warren” Report als DAS Fallbeispiel für einen Haufen Mumpitz der über Jahrzehnte die Gerüchteküche anheizte. Und zwar WEIL die Regierung die Wahrheit über Kennedys tatsächliche Machenschaften wusste, die wirklichen Beweise und Unterlagen, das er als Opfer der üblichen Verdächtigen gar nicht wirklich in Frage kam aber auf keinen Fall veröffentlichen wollte. Kennedys Heiligenschein liberaler Fortschrittlichkeit sollte über Jahre die Kräfte der Konservativen bündeln…
..Obwohl der Pessimissmus eines Thomas Bernhard anklingt, wird dieser nicht in Wiederholungen still gestellt. Vielmehr versuchen beide Hauptfiguren, Mangold und Sebastian, diesem zum Trotz zu handeln, um der Hoffnungslosigkeit zu entfliehen. Rache und die Frage nach Verantwortung des Einzelnen sind Motive, die einen Weg aus dem phlegmatischen Pessimisus aufzeigen..
..Den einzelnen Kapiteln sind jeweils kaleidoskopartige Nachrichten vorangestellt, die über fiktive kulturelle, politische oder gesellschaftliche Ereignisse berichten. Diese Vorworte stehen mit der Handlung von “Otherland” nicht im direkten Zusammenhang, zeigen aber schlaglichartig verschiedene Facetten der Kultur, wie sie sich Tad Williams für die Mitte des 21. Jahrhunderts vorstellt. Oft erscheinen diese Nachrichten absurd, manchmal jedoch erschreckend real..
..Die dritte Tugend von Otherland ist die erstaunlich stringente, nie wirklich ausufernde Handlung. Diese erzeugt zwar eine gewisse Ausrechenbarkeit, man hat recht frueh eine Ahnung worauf das alles hinausläuft, aber dafuer ist man dankbar, denn so kann man sich geniesend auf den Film im Kopf konzentrieren, kann mit den Protagonisten fiebern, und die Bösewichter verfluchen..
„Land“ führen beide heute besprochenen Bücher im Titel, sie könnten jedoch unterschiedlicher nicht sein.
„Sumpfland“ von Marc Drobot, vorgestellt von unserem Gastrezensenten Michael G. Müller, spielt im braunen Dresden der Vergangenheit und der Gegenwart: „Neonazis schlagen den 15jährigen Sebastian auf seiner ersten selbstorganisierten Ferienreise brutal zusammen. Die Wunden die nicht verheilen, sind jene die den gewachsenen Charakter sensibel, für Geschehnisse und Missstände, machen. Über die Familiengeschichte hinaus, scheinen sie ihn zur Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu zwingen.“
Die Länder, Mehrzahl, in Tad Williams „Otherland“ sind fiktiv in Raum und Zeit, deutlich handfester hingegen ist das Werk selbst, 4 Bände mit je 1000 Seiten begeisterten vor drei Jahren schon Herrn Falschgold, heute betrachtet Irmgard Lumpini das Science Fiction Epos aus der ihrer eigenen Perspektive, wir senden beide Rezension zum geneigten Vergleich.
Wie jedes Jahr, wenn wir uns auf’s Weihnachtsfest zuschleppen, versuchen wir den Schmerz zu lindern und unseren Hörern wenigstens ein Problem zu nehmen: das Buch unter’m Baum.
Dieses Jahr schaffen wir Abwechslung, in dem wir unseren Freund, Musiker und geschätzten Vorleser Heiko Schramm baten, seine Empfehlungen in die Falschgoldsche Küche zu tragen, jeweils ein paar Seiten vorzulesen und uns und Euch davon zu überzeugen, diese Bücher unter’n Baum zu legen. Diese sind:
Der – natürlich völlig absurde – Gedanke, dass wir eventuell am Ende der Sendung noch etwas Zeit hätten, brachte auch Herrn Falschgold dazu, noch ein paar Empfehlungen zusammen zu tragen, die hier nur schwarz auf weiss erwähnt seien:
Die Überschrift der heutigen Sendung ist nicht nur der bei den meisten von uns rezensierten Werken berechtigter Aufschrei ebendieser, sondern, in seiner englischen Form, der readme.txt, Beginn einer wilden Jagd um die Welt im heute von Herrn Falschgold rezensierten Werk REAMDE. Ja, [sic], wenn wir auf solcherlei armseeligen Intellektualitätsbeweis stehen würden, richtig falsch geschrieben, zeigt Neal Stephenson diesmal vor allem im Titel an, dass er ein grosser Sprachverdreher ist und liefert im Buch stattdessen gewaltige Actionkost ab.
Irmgard Lumpini folgt Jon Ronson in die Welt des Wahnsinns und muss dafür nicht weit – wie jeder zurechnungsfähige Zeitgenosse weiß: dies ist unsere Welt. Soweit sowieso bekannt – dabei bedient sich Jon Ronson jedoch unterschiedlichster Quellen, und er tut dies äußerst unvoreingenommen. So scheut er sich nicht, mit Mitgliedern von Scientology Kontakt aufzunehmen, auch wenn er als rationaler Vernunftsmensch – für den er sich meist hält – dieser relegiöse Organisation und ihren Lehren zutiefst misstrauisch gegenübersteht. Diese Offenheit ermöglicht ihm Kontakte und Einsichten, die hierzulande eher selten zu finden sind, wo zwar mit objektivem Gestus, aber aus einem starren Werte- und Vorurteilssystem heraus Ereignisse und Personen eingeordnet werden und ein Großteil von Jon Ronsons Quellen von vornherein abgelehnt würde.
„Es gibt keinen Beweis dafür, dass wir auf diesem Planeten sind, um besonders glücklich oder besonders normal zu sein. Und es spricht viel dafür, dass unser Unglück und unsere Abweichungen, unsere Ängste und Zwänge, also die am wenigsten geschätzten Teile unserer Persönlichkeit uns dazu bringen, eher interessante Dinge zu tun.“
„..Wie gesagt, der Beginn einer All-American-Novel, wie es auch Jonathan Franzen nicht anders macht, aber Neal Stephenson vergisst nicht, dass es vor allem Geeks sind, die seinen Roman lesen, dessen Titel man die ersten drei mal als README, liesmich, überliest, und bei dem es einem erst beim vierten mal aufgeht, halt, REAMDE, das M und das D sind vertauscht. What the fuck?..“
… A. J. Liebling beschreibt Boxen als fortlaufende Geschichte von Generationen, in denen Männer, die miteinander kämpfen, Geschichte direkt weitergeben, und er, der selbst den Boxkampf in seiner Jugend praktiziert hat, nennt es ein – Zitat – „erregendes Gefühl, vom frühviktorianischen Zeitalter nur durch eine Serie von Schlägen auf die Nase getrennt zu sein.“ – Zitat Ende …
„…Wenn die Radioshow nicht an ihrem Stammplatz, dem Fitzgerald Theatre in St. Paul, der Hauptstadt von Minnesota, aufgezeichnet wird, geht sie auf Tour, und findet dann an uns so wundersam erscheinenden Orten wie z. B. der Landwirtschaftsmesse in Michigan statt. Zitat: „Wir touren mit der Show, weil ein Schriftsteller herauskommen und Sachen entdecken muss.“ Dort verkostet Garrison Keillor Rhabarberkuchen und besichtigt Rinder. Er macht sich über die Landbevölkerung lustig, und überraschenderweise lachen sie mit ihm gemeinsam…“
„..Erzählt wird dieser Teil der Ereignisse, wie das ganze Buch aus den Blickwinkeln eines knappen Dutzends Handelnder, ein Verfahren, was in einer TV-Serie mit 22 Folgen im Jahr Sinn macht, die Spannung oben hält und für Cliffhänger sorgt – in einem Buch von ein paar hundert Seiten wirkt es…gewollt, bestsellerheischend, Dan Brownisch – und macht einen entsprechend wahnsinnig..“
„…Letztens wollte ich dies dann ändern und musste feststellen, dass meine Miniküche überhaupt keinen Lagerraum für Lebensmittel hatte und mein Minikühlfach nur eine Wodkaflasche, die ich für Gäste bereithalte, fassen kann. Ich kaufte also ein kleines Regal und einen Kühlwürfel, um mir permanente Supermarktbesuche zu sparen. Und dann bekam ich ein Kochbuch geschenkt, dessen Inhalt und Autoren ich nicht genügend lobpreisen kann. Nigel Slater, Verfasser diverser preisgekrönter Kochbücher und einer wöchentlichen Kolumne für den britischen Observer, versteht mich. Nie hat mich ein Buch persönlicher angesprochen, auch wenn ich – wie alle Menschen – gelegentlich zur Identifikation mit den Protagonisten dicker Romane neige!…“
Ging Niall Fergusson in „The Ascent of Money“, hier vor einigen Monaten rezensiert, das hochaktuelle Thema Staatsverschuldung sachlich, erklärend und hochinformativ an, versucht sich nun Albert Brooks in „2030“ an diesem Thema in der Form eines Romans. Die Betonung liegt auf „versuchen“.
James Ellroy, der Erfinder des Hauptheldenlosen Thrillers, hat einen würdigen Apprentice gefunden: Don Winslow entwickelte sich von einem machbaren Krimiserienschriftsteller 2006 mit „Power of the Dog“ zum Meister des mäandernden Kriminalwälzers, was dieses Jahr selbst die Preisverleiher der Tatortnation anerkennen mussten – „Tage der Toten“ heisst das Buch seit letztem Jahr übersetzt (und ist seit diesem Jahr im Paperback zu haben).
Und weil das Leben zu kurz für Langeweile ist, werden auch 2 persönliche Superstars vorgestellt: Ausführlich wird das Lebenswerk von Garrison Keillor in Radio- und Literaturwelt gewürdigt, und Nigel Slater, der schon einmal für die Gourmets vorgestellt wurde (hier), erfährt nun Würdigung für sein Verständnis des Lebens von Menschen, die keine 5 Stunden in ein Menü investieren können, aber gut essen wollen.
Ob Revolution in Nordafrika, Umsturz in Pakistan oder Regierungswechsel in Portugal – was wie und warum und aus welchem Anlass in den Ländern, beteiligten Parteien und Köpfen der Menschen geschieht, ist aus dem Ausland selten sofort zu verstehen. Noch schwieriger wird es, Ereignisse zu rekonstruieren und die Ursachen, Auswirkungen oder Motive der handelnden Personen zu verstehen, wenn diese Jahrzehnte zurückliegen und durch Historisierung verfremdet wurden.
Obwohl oder vielleicht auch weil die Zeit des Nationalsozialismus überwiegend gut erforscht scheint, und unzählige Male die Geschichte der Machtergreifung der Nationalsozialisten erzählt wurde, ist man immer wieder überrascht andere Blickwinkel zu entdecken, die diese Zeit nicht immer erklären, aber lebendig werden lassen. Ob der Irrtümer, denen man vielleicht doch erlegen war, beurteilt man am Ende so manche Nachricht über aktuelle Ereignisse etwas vorsichtiger.
Zwei Bücher, die die Zeit zwischen 1933 und 1936 in Deutschland aus sehr interessanten Perspektiven beleuchten, werden heute besprochen:
In the Garden of Beasts: Love and Terror in Hitler’s Berlin: Love, Terror, and an American Family in Hitler’s Berlin von Erik Larson
Nachrichten aus Berlin: 1933-36 von Antoni Graf Sobánski
Die zeitliche Deckungsgleichheit der Werke liess uns diesmal vom Schema Rezension/Lesung abweichen – stattdessen setzten sich Irmgard Lumpini und Herr Falschgold in die Küche und stellen die Bücher vor, unterhalten sich über sie und lesen aus ihnen – zur Erhellung der geneigten Hörerschaft.
„..Dodd’s happy anticipation of his upcoming leave was marred by two unexpected demands. The first came on Monday, March 5, 1934, when he was summoned to the office of Foreign Minister Neurath, who angrily demanded that he do something to halt a mock trial of Hitler set to take place two days later in New York’s Madison Square Garden. The trial was organized by the American Jewish Congress, with support from the American Federation of Labor and a couple of dozen other Jewish and anti-Nazi organizations. The plan so outraged Hitler that he ordered Neurath and his diplomats in Berlin and Washington to stop it.
One result was a sequence of official protests, replies, and memoranda that revealed both Germany’s sensitivity to outside opinion and the lengths U.S. officials felt compelled to go to avoid direct criticism of Hitler and his party. The degree of restraint would have been comical if the stakes had not been so high and raised a question: why were the State Department and President Roosevelt so hesitant to express in frank terms how they really felt about Hitler at a time when such expressions clearly could have had a powerful effect on his prestige in the world?..“